Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur Menschenrechtskonvention garantiert das Recht auf Eigentum.
Diese Gewährleistung ist nicht in der Menschenrechtskonvention selbst, sondern im (ersten) Zusatzprotokoll enthalten. Bereits mit der Empfehlung vom 25. August 1950 hatte die Beratende Versammlung vorgeschlagen, den Entwurf der Menschenrechtskonvention auch auf diese Gewährleistung zu erstrecken. Das Ministerkomitee des Europarates hat aber in seiner Sitzung vom 3. November 1950 die Aufnahme dieser Vorschläge in die Konvention zurückgestellt und sie zur weiteren Beratung einem Ausschuss von Regierungssachverständigen überwiesen, der sie in mehreren Sitzungen einer eingehenden Erörterung unterzogen hat. Als Ergebnis ihrer Beratungen haben die Sachverständigen das Zusatzprotokoll ausgearbeitet, in dem auch die Wünsche der Beratenden Versammlung soweit wie möglich berücksichtigt worden sind.
Dieses Vorgehen war den bestehenden erheblichen Verschiedenheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen der einzelnen Europaratsmitglieder geschuldet, angesichts derer es außerordentlich schwierig war, eine für alle Regierungen annehmbare Fassung zu finden.
Nicht zuletzt musste von der in der Konvention selbst beachteten Methode möglichst genauer Begriffsbestimmungen der zu garantierenden Einzelrechte zugunsten einer mehr allgemeinen Erklärung dieser Rechte abgegangen werden. Das Ergebnis der Beratungen stellt somit ein Kompromiss dar, das naturgemäß nicht allen Wünschen gerecht werden kann, auf das sich die Beteiligten jedoch einigen zu können glaubten. Um auch äußerlich die Verbindung mit der Konvention selbst in Erscheinung treten zu lassen, wurde die Form eines Zusatzprotokolls zu der bereits abgeschlossenen Konvention gewählt, das der gesonderten Ratifikation durch die Vertragsstaaten bedarf.
Artikel 1 des Zusatzprotokolls gewährleistet des weiteren, dass eine Enteignung nur
- aus Gründen des öffentlichen Wohles erfolgen darf,
- dass sie gesetzmäßig sein muss und
- dass sie nur unter den Bedingungen erfolgen kann, die den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts entsprechen.
In dem Sachverständigenbericht an das Ministerkomitee des Europarats vom 18. Juli 1951 wird hierzu als gegenwärtig allgemein anerkannter Grundsatz des Völkerrechts die Entschädigungspflicht von fremden Staatsangehörigen festgestellt. Die Forderung, diesen Grundsatz auch in dem Zusatzprotokoll ausdrücklich zu verankern, konnte nicht durchgesetzt werden.
Artikel 1 Absatz 2 des Zusatzprotokolls spricht sodann eine Selbstverständlichkeit des (modernen) Staats aus: Das Eigentumsrecht hindert nicht die Erhebung und Beitreibung von Steuern, Abgaben und Geldstrafen.
Für die in Artikel 1 des Zusatzprotokolls enthaltene Gewährleistung des Eigentums wird in Artikel 5 des Zusatzprotokols ausdrücklich bestimmt, dass dieses Menschenrecht als Zusatzartikel der Menschenrechtskonvention zu gelten hat und dass alle Bestimmungen der Konvention daher entsprechend anzuwenden sind. Dies gilt auch für das Recht zur Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
Artikel 1 – Schutz des Eigentums
- Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.
- Absatz 1 beeinträchtigt jedoch nicht das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält.