Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (European Court of Human Rights), EGMR, hat seinen Sitz in Straßburg. Er sollte nicht mit dem höchsten Gericht der Europäischen Union, dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verwechselt werden. Als Organ des Europarats ist dieses internationale Gericht in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert und wurde 1959 gegründet. Artikel 19 der Konvention sieht die Errichtung eines Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vor, um die Einhaltung der Verpflichtungen sicherzustellen, die mit der Ratifizierung der Konvention durch die Vertragsstaaten übernommen worden sind.
Für die Auslegung der Bestimmungen und deren Durchsetzung ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuständig. Dabei wird die Konvention nicht als festes Regelwerk angesehen, sondern als lebendiges dynamisches Instrument, was durch die Interpretationen des Gerichtshofs auf die aktuellen Gegebenheiten angewandt wird, obwohl diese bei der Entstehung der Konvention noch nicht vorhersehbar waren. Der Gerichtshof kann angerufen werden, wenn die in der Konvention aufgeführten Grundrechte und Menschenrechte verletzt worden sind. Die Zuständigkeit bezieht sich auf Beschwerden, die entweder von Vertragsstaaten gegen andere Vertragstsaaten (Staatenbeschwerde) oder von Einzelpersonen (Individualbeschwerde) gegen Vertragsstaaten eingereicht werden. Der Gerichtshof wird nicht von Amts wegen tätig.
Der Gerichtshof arbeitet das ganze Jahr hindurch seitdem das 11. Zusatzprotokoll zur Konvention in Kraft getreten ist, es ist ein ständiges Gericht. Die Zusammensetzung und Anzahl der Richter ist abhängig von der Mitgliederzahl des Europarates. Jedes Mitglied entsendet einen Richter, der von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats gewählt werden muss. Die momentan 47 Richter sind hauptberuflich für eine Amtszeit von 9 Jahren am Gerichtshof tätig. Dabei üben sie ihre Arbeit unabhängig aus und gehören dem Gerichtshof in ihrer persönlichen Eigenschaft an. Trotzdem sie für jeweils einen Vertragsstaat gewählt werden, sind sie nicht als Vertreter dieser Staaten tätig. Eine Wiederwahl ist nicht möglich.
Amtssprachen sind Englisch und Französisch – allerdings kann eine Beschwerde auch in jeder Sprache eines Vertragsstaates verfasst werden, der die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert hat. Zum Einlegen einer Beschwerde ist kein Rechtsanwalt zwingend vorgeschrieben. Allerdings wird ein Anwalt benötigt, sobald die Beschwerde der Regierung des betroffenen Staates zugestellt worden ist. Für das Gerichtsverfahren ist ein persönliches Erscheinen nicht nötig, da es sich generell um ein schriftliches Verfahren handelt. Öffentliche mündliche Anhörungen sind die Ausnahme. Vielmehr berät der Gerichtshof in nichtöffentlichen Sitzungen; die Beratungen bleiben geheim.
Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist kostenfrei. Derjenige, der die Beschwerde einlegt, trägt nur seine eigenen Kosten, wie z.B. die Anwaltskosten und die eventuell durch Schriftverkehr oder Nachforschungen entstandene Kosten. Dafür kann Prozesskostenhilfe beantragt werden. Auch wenn vom Gerichtshof entschieden wird, eine Verletzung der Menschenrechtskonvention liegt nicht vor, hat der Beschwerdeführer mit keinen zusätzlichen Kosten zu rechnen. Der beklagte Staat kann keine Kosten geltend machen.
Zwar muss vor einem zulässigen Verfahren am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der innerstaatliche Instanzenweg vollständig durchlaufen und ausgeschöpft worden sein, aber dennoch ist der Gerichtshof keine Art „Berufungsinstanz“. Das Urteil eines innerstaatlichen Gerichts kann weder aufgehoben, abgeändert oder auch nur wieder aufgerollt werden. Der Gerichtshof ist einzig und allein für Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zuständig, auf die er nationale Urteile hin untersuchen kann.
Liegt nach Ansicht des Gerichtshofs ein Verstoss gegen die Konvention vor, ist für die Durchsetzung eines entsprechenden Urteils das Ministerkomitee des Europarates zuständig.
Seit Gründung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 1959 ist es zu ca. 16.000 Urteilen gekommen (bis 2012), von denen ungefähr die Hälfte auf 5 Mitgliedstaaten verteilt sind:
- Türkei (2.870),
- Italien (2.229),
- die Russische Föderation (1.346),
- Polen (1.019)
- Rumänien (938)
Bezogen auf die Gesamtzahl der Urteile hat der Gerichtshof mindestens eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch den beklagten Staat in 83% der Fälle festgestellt.
Bildquellen:
- Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Sitzungssaal: Adrian Grycuk | CC BY-SA 3.0 Unported