Entwicklung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Strasbourg, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten besitzt etwas weltweit einmaliges: einen eigenen internationalen Gerichtshof, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, an den sich jeder einzelne Bürger, der sich in einem der in der Menschenrechtskonvention oder ihren Zusatzprotokollen verbürgten Rechten verletzt sieht, nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs mit einer Individualbeschwerde wenden kann.

Das Kontrollsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention ist einzigartig: Die Vetragsstaaten der Konvention – und damit alle europäischen Staaten mit Ausnahme von Weißrußland und dem Vatikanstaat – haben sich damit einverstanden erklärt, ihre Verpflichtung, allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in der Konvention bestimmten Rechte und Freiheiten zuzusichern, einer internationalen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Diese Kontrolle wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgeübt, der über die Individualbeschwerden, mit denen er nach Artikel 34 EMRK befasst wird, sowie über die Staatenbeschwerden – die sehr selten sind –, die nach Artikel 33 EMRK erhoben werden, entscheidet. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind für die belangten Parteien verbindlich und ihre Durchführung wird vom Ministerkomitee des Europarats überwacht.

Die Institution des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat dabei in der Entwicklung der Menschenrechtskonvention zwei Umgestaltungen erfahren: Die grundlegende Umgestaltung erfolgte durch das Protokoll Nr. 11 zur Menschenrechtskonvention. Mit ihrem Inkrafttreten wurde der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einen ständigen Gerichtshof umgewandelt. Über Individualbeschwerden nach der Europäischen Menschenrechtskonvention entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seitdem ausschließlich, die bis dahin bestehende und vor eine Vorprüfung der Individualbeschwerden zuständige Kommission für Menschenrechte wurde abgeschafft. Seitdem wacht ein mit drei Richtern besetzter Ausschuss des Europäischen Gerichtshofs darüber, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht mit unzulässigen oder offensichtlich unbegründeten Individualbeschwerden belastet wird.

Das Protokoll Nr. 11 zur Menschenrechtskonvention hat das frühere durch die Konvention von 1950 eingeführte System, nämlich eine Kommission, einen Gerichtshof und das Ministerkomitee, das gewisse „gerichtliche“ Aufgaben wahrnahm, durch einen einzigen ständigen Gerichtshof ersetzt.

Das Protokoll Nr. 11 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das am 11. Mai 1994 zur Unterzeichnung aufgelegt worden und am 1. November 1998 in Kraft getreten ist, bezweckte erstens, das System zu vereinfachen, um die Verfahrensdauer abzukürzen und zweitens, den gerichtlichen Charakter zu verstärken. Durch dieses Protokoll ist ein rein gerichtliches System unter Wegfall der quasi-gerichtlichen Rolle des Ministerkomitees, Streichung der Fakultativklausel für Individualbeschwerden und der Fakultativklausel für die obligatorische Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingeführt und ein einziger ständiger Gerichtshof geschaffen worden.

Durch das Protokoll Nr. 11 konnte die Wirksamkeit des Systems erhöht werden, insbesondere durch die Verbesserung des Zugangs zum Gerichtshof sowie der Wahrnehmung des Gerichtshofs und durch die Vereinfachung des Verfahrens, um der Flut an Beschwerden, verursacht durch die ständig wachsende Zahl der Staaten, zu begegnen. Während die Kommission und der Gerichtshof in den 44 Jahren ihrer Tätigkeit bis 1998 – dem Jahr des Inkrafttretens des Protokolls Nr. 11 – insgesamt 38 389 Entscheidungen und Urteile gefällt haben, hat der Europäische Gerichtshof für Menschen allein seitdem in den ersten fünf Jahren nach Inkrafttreten des Protokolls Nr. 11 61.633 Urteile gefällt.

Diese Reform, die auf Vorschläge bereits aus den 80er Jahren zurückzuführen ist, konnte jedoch der neuen Situation nicht gerecht werden. Seit 1990 ist nämlich u. a. infolge der Erweiterung des Europarats die Anzahl der vor dem Gerichtshof erhobenen Individualbeschwerden ständig und erheblich gestiegen. Während die Zahl der Beschwerden

  • im Jahr 1990 noch 5.279 betrug,
  • stieg sie 1994 auf 10-335 (+ 96 %),
  • 1998 auf 18.164 (+ 76 %) und
  • 2002 auf 34.546 (+ 90 %).

Auch wenn 2003 durch die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte selbst ergriffenen Rationalisierungsmaßnahmen die Prüfung von nicht weniger als 1.500 Beschwerden monatlich abgeschlossen werden konnte, reicht dies angesichts der Anzahl der jeden Monat eingehenden nahezu 2.300 Beschwerden bei weitem nicht aus.

Dieser Anstieg war nicht nur durch den Beitritt neuer Vertragsstaaten und den raschen Erweiterungsprozess, sondern auch durch die steigende Zahl der erhobenen Beschwerden gegen Staaten, die 1993 Vertragspartei der Konvention waren, bedingt. 2004 stand das System der Konvention nicht weniger als 800 Millionen Personen offen. Aufgrund der starken Zunahme an Individualbeschwerden waren die Wirksamkeit des Systems und infolgedessen die Glaubwürdigkeit und die Autorität des Gerichtshofs erheblich gefährdet.

Dieses Problem ging der Europarat sodann mit dem Protokoll Nr. 14 zur Menschenrechtskonvention an, mit dem weitere Reformen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchgeführt wurden.

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