In Artikel 2 Absatz 1 gewährleistet das Protokoll Nr. 4 zur Menschenrechtskonvention das Bürgerrecht auf Freizügigkeit im Gebiet desjenigen Staates, in dem sich jemand rechtmäßig aufhält sowie das Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes.
Mit dieser Gewährleistung der Freizügig geht das Protokoll Nr. 4 zur Europäischen Menschenrechtskonvention im Vergleich mit den deutschen Grundrechten über die entsprechende grundrechtliche Gewährleistung in Art. 11 GG hinaus. Denn Artikel 2 Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 zur Menschenrechtskonvention unterscheidet sich hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs dadurch von Artikel 11 GG, dass er sich — entsprechend dem Grundsatz der Geltung der Menschenrechtskonvention und ihrer zusätzlichen Protokolle für alle Menschen — auch auf fremde Staatsangehörige und Staatenlose erstreckt.
Allgemeine Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 2 Absatz 1 des Protokolls Nr. 4 zur Menschenrechtskonvention ist allerdings, dass sich jemand „rechtmäßig“ im Hoheitsgebiet des betreffenden Staates aufhält, wobei auch die nach den Absätzen 3 und 4 des Artikel 2 des Protokolls Nr. 4 zulässigen Einschränkungen zu berücksichtigen sind.
Ein rechtmäßiger Aufenthalt liegt — über eine von vornherein illegale Einreise hinaus — z. B. auch dann nicht (mehr) vor, wenn ein Ausländer eine Einreiseerlaubnis unter bestimmten Auflagen, insbesondere befristet, erhalten hat und diesen Auflagen nicht nachkommt.
Auch kann ein Ausländer, der sich auf der Durchreise befindet oder sich zwar rechtmäßig, aber nur vorübergehend, in einem anderen Vertragsstaat aufhält, aus Artikel 2 Absatz 1 des Protokolls Nr. 4 zur Menschenrechtskonvention keinen Anspruch auf Gestattung des dauernden Aufenthalts herleiten.
Die Gewährleistung von Freizügigkeit und freier Wohnungswahl erfolgen nicht unbeschränkt. Einschränkungen dieser Menschenrechte auf Freizügigkeit und freie Wohnsitzwahl ergeben sich vielmehr auf der Grundlage von Artikel 2 Absätze 3 und 4 des Protokolls Nr. 4 zur Menschenrechtskonvention, worin die Voraussetzungen geregelt sind, unter denen die Ausübung der durch Artikel 2 Absatz 1 des Protokolls Nr. 4 gewährleisteten Rechte – Freizügigkeit sowie freie Wohnsitzwahl – auf Grund von Gesetzen eingeschränkt werden kann.
Einschränkungen dieses Menschenrechts sind danach nur zulässig, sofern sie
- aufgrund eines Gesetzes erfolgen,
- und erforderlich sind zur
- Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit
- von Sicherheit und Ordnung (einschließlich der Moral)
- zur Verhütung von Straftaten
- aus Gründen des öffentlichen Gesundheitsschutzes oder
- zum Schutze der Rechte und Freiheiten Dritter.
Diese Zusammenstellung der Einschränkungsgründe in Absatz 3 lehnt sich im wesentlichen an die Merk- male an, die in den zweiten Absätzen der Artikel 8 bis 11 der Menschenrechtskonvention enthalten sind; hierbei ist nicht übersehen worden, dass nicht in jedem der erwähnten Konventionsartikel sämtliche Einschränkungsmerkmale wiederkehren, sondern dass die Möglichkeiten zur Einschränkung jeweils auf das durch den einzelnen Artikel geschützte Recht abgestellt sind.
Darüber hinaus kann nach Art. 2 Abs. 4 des Protokolls die Freizügigkeit sowie das Recht zur freien Wohnsitzwahl durch ein Gesetz auch örtlichen Beschränkungen unterworfen werden, sofern dies durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt ist. Diese Beschränkung ist weitergehender als die Einschränkungsmöglichkeiten nach Art. 2 Abs. 3 des Protokolls, da hier nur die Rechtfertigung durch allgemeine „öffentliche Interessen“ gefordert wird. Allerdings ist eine derartige Einschränkung nur in bestimmten, eng umrissenen Regionen – etwa entlang einer gefährdeten Grenze oder in besonderen Sicherheitszonen – möglich.
Artikel 2 Absätze 3 und 4 des Protokolls Nr. 4 legen unter dem Gesichtspunkt des völkerrechtlichen Vertragsrechts die Grenzen fest, die den Vertragsstaaten für Einschränkungen gezogen sind. Soweit sich aus dem nationalen Recht eines Vertragsstaates, insbesondere aus seiner Verfassung oder aus seinen anderweitigen vertraglichen Verpflichtungen, engere Grenzen für Einschränkungen der durch Artikel 2 des Protokolls Nr. 4 zur Menschenrechtskonvention anerkannten Menschenrechte ergeben, bleiben diese engeren Grenzen unberührt. Dies geht aus Artikel 60 der Menschenrechtskonvention hervor, der auf Grund von Artikel 6 Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 auch auf dieses Anwendung findet.
Nach Artikel 6 Absatz 1 des Protokolls Nr. 4 (der in seiner Fassung dem Artikel 5 des Zusatzprotokolls entspricht) sind die in diesem Protokoll enthaltenen Gewährleistungen und Verbote als Zusatzartikel zur Europäischen Menschenrechtskonvention anzusehen und alle Bestimmungen der Konvention dementsprechend anzuwenden. Dies bedeutet insbesondere auch, daß Konventionsbestimmungen mit allgemeinem Inhalt auf die die in dem Protokoll Nr. 4 beschriebenen Gewährleistungen und Verbote Anwendung finden. Auch die Freizügigkeit und das Recht zur freien Wahl des Wohnsitzes sind damit Menschenrechte und Grundfreiheiten im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind
Artikel 2 – Freizügigkeit
- Jede Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und ihren Wohnsitz frei zu wählen.
- …
- Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
- Die in Absatz 1 anerkannten Rechte können ferner für bestimmte Gebiete Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt sind.