Die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt sich aus der Euroäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Danach führt der Gerichtshof
- Individualbeschwerdeverfahren nach Artikel 34 EMRK
- Staatenbeschwerdeverfahren nach Artikel 33 EMRK
- Gutachtenverfahren nach Artikel 47 EMRK
durch.
Die Individualbeschwerde (Individual applications) kann jede natürliche oder juristische Person, Personenvereinigung und jede nichtstaatliche Organisation einreichen, die sich in einem durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützten Recht verletzt fühlt. Außerdem sind folgende Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Artikel 35 der Konvention zu beachten:
- Vertragsstaat der Konvention als Beschwerdegegner: Die Beschwerde muss sich gegen einen Staat richten, von dem die Menschenrechtskonvention ratifiziert worden ist. Folglich kann man nicht eine Beschwerde gegen einen Drittstaat vorbringen und auch nicht gegen eine Privatperson.
- Einfacher Zugang: Duch das System wird ein „einfacher“ Zugang zum Gerichtshof möglich gemacht, so dass es für eine Beschwerde ausreicht, ein vollständig ausgefülltes Formular einzureichen, das in der Sprache eines Mitgliedsstaates gehalten sein muss. Es ist kein Rechtsanwalt dazu notwendig und es werden keine Verfahrensgebühren erhoben. Lediglich darf die Beschwerde nicht anonym erfolgen.
- Rechtswegerschöpfung und Fristwahrung: Der Rechtsweg vor den jeweiligen nationalen Gerichten muss vollständig erschöpft sein, so dass keine Rechtsbehelfe noch offen bleiben. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland zählt u.a. auch dazu. Nach Ausschöpfung der Nationalen Instanzen kann innerhalb der nächsten 6 Monate eine Beschwerde eingereicht werden.
- Erheblicher Nachteil: Durch die behauptete Verletzung der Konventionsrechte darf dem Beschwerdeführer in der Regel nicht lediglich ein unerheblicher Nachteil entstanden sein.
- Einmalige Beschwerdeeinreichung: Die Beschwerde darf im wesentlichen nicht mit einer schon vorher vom Gerichtshof geprüften Beschwerde übereinstimmt oder schon einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Vergleichsinstanz unterbreitet worden sein.
- Vereinbarket mit der Konvention: Die Beschwerde darf nicht unvereinbar mit der Konvention sein, nicht offensichtlich unbegründet sein oder für missbräuchlich gehalten werden.
Auch wenn für die Beschwerdeeinreichung nicht zwingend ein Rechtsanwalt erforderlich ist, wird er notwendig, sobald der Gerichtshof von der betroffenen Regierung des Staates, dem die Beschwerde gilt, eine Stellungnahme einholt. Dabei kann sich der Beschwerdeführer eines jeden Rechtsanwalts bedienen, der in einem Mitgliedsstaat zugelassen ist. Es existiert keine abgeschlossene Liste von Rechtsanwälten, die beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zugelassen sind. Für die Beauftragung eines Rechtsanwalts kann der Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe beantragen.
Die Entscheidung des Gerichtshofs ist endgültig. Gegen eine Entscheidung oder ein Urteil kann keine Berufung eingelegt werden. Lediglich wenn eine Kammer ein Urteil gefällt hat, steht es den Parteien frei, innerhalb der nächsten drei Monate die Verweisung an die Große Kammer zu beantragen.
Jeder an einem Verfahren beteiligte Richter ist berechtigt, seine eigene Meinung in Form eines Votums dem Urteil beizulegen. Damit werden normalerweise die Gründe des Richters dargelegt, weshalb er sich der Mehrheitsmeinung angeschlossen oder sie abgelehnt hat (zustimmendes oder abweichendes Sondervotum).
Werden Verletzungen der Menschenrechtskonvention durch den Gerichtshof festgestellt, wird dem Ministerkomitee des Europarats Bericht erstattet. Dieser ist dann für die Umsetzung verantwortlich. Die betroffenen Mitgliedsstaaten sind an die Urteile gebunden und verpflichtet, diese umzusetzen. Das Ministerkomitee bzw. die für die Urteilsvollstreckung zuständige Abteilung des Europarats berät den betreffenden Staat bei der Umsetzung, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um z.b. künftige Konventionsverletzungen zu vermeiden. Der Gerichtshof kann den Staat lediglich zu Entschädigungszahlungen verpflichten. Dadurch dass die Vertragsstaaten der Konvention sich aber der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durch Artikel 46 unterworfen haben, kann die Folge eines Urteils auch die Änderung der innerstaatlichen Gesetzgebung sein, um zukünftige Rechtsverletzungen der Konvention zu vermeiden. Innerhalb der verschiedenen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten ist die Bindungswirkung der Urteile unterschiedlich, weil auch die Einbindung der Menschenrechtskonvention in das innerstaatliche Gesetzesgeflecht auf verschiedene Arten erfolgt ist.
Staatenbeschwerde (Inter-State cases)
Genauso wie eine Privatperson Beschwerde gegen einen Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention erheben kann, wird dies auch jedem Staat zugebilligt gemäß Artikel 33 der Konvention. Bei den Voraussetzungen bestehen zur Individualbeschwerde einige Unterschiede:
- Voraussetzung ist, dass beide Staaten die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert haben.
- Der Beschwerdeführer muss nicht selbst von einer Verletzung der Konvention betroffen sein. Durch die Möglichkeit der Staatenbeschwerde wird eine Art „Aufpasserfunktion“ ausgeübt.
- Sofort nach der Einreichung der Beschwerde ist der betroffene Vertragsstaat über die Beschwerde zu informieren.
- Sobald ein Staat eine mündliche Verhandlung beantragt, hat diese stattzufinden.
- Zuständig für die Staatenbeschwerden sind die Kammern des Gerichtshofs (Artikel 29 Abs.2).
Das Verfahren der Staatenbeschwerde spielt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine untergeordnete Rolle, auch wenn es bei den wenigen Fällen um Beschwerden mit weitreichender Bedeutung handelte. Gründe für eine Staatenbeschwerde liegen überwiegend wohl im politischen Bereich. Aber welcher Staat im immer enger zusammenwachsenden Europa möchte sich schon mit einem unfreundlichen Akt wie der Staatenbeschwerde unbeliebt machen? Folglich wird diese Möglichkeit meistens vermieden. Ihre Daseinsberechtigung bezieht die Staatenbeschwerde aus ihrer bloßen Existenz. Durch die Beobachtung der anderen Vertragsstaaten der Konvention wird Druck auf jeden Staat ausgeübt, Konventionsverletzungen tunlichst zu vermeiden – man kann es auch gegenseitige „Erziehungsmaßnahme“ nennen.
Gutachtenverfahren
Vom Ministerkomitee des Europarats können Gutachten vom Gerichtshof angefordert werden, die sich mit der Auslegung der Konvention befassen gemäß Artikel 47:
- Lediglich das Ministerkomitee kann den Antrag auf ein Gutachten stellen.
- Das Gutachten muss sich auf Rechtsfragen beziehen, die die Auslegung der Konvention und ihrer Zusatzprotokolle betreffen.
- Ein angefordertes Gutachten darf sich nicht auf die in Abschnitt I der Konvention enthaltenen Bestimmungen beziehen, genausowenig auf die in den Protokollen dazu anerkannten Rechte und Freiheiten.
- Der Gerichtshof darf auch kein Gutachten erstellen, wenn über das Thema des Gutachtens auch einmal der Gerichtshof oder das Ministerkomitee auf Grund eines nach der Konvention eingeleiteten Verfahrens zu entscheiden haben könnte.
- Für den Beschluss, einen Antrag auf ein Gutachten beim Gerichtshof zu beantragen, ist eine Stimmenmehrheit der zur Teilnahme an den Sitzungen des Ministerkomitees berechtigten Mitglieder notwendig.
Diese Gutachtentätigkeit wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte so gut wie gar nicht ausgeübt.
Bildquellen:
- Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Erich Westendarp | CC0 1.0 Universal